In dem
Verfassungsbeschwerdeverfahren E.,
Beschwerdeführerin,
Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwalt
Q.,
gegen das auf die mündliche Verhandlung
vom 04. Mai 2006 ergangene Urteil des Amtsgerichts Cottbus sowie den
Beschluß des Amtsgerichts Cottbus vom 27. Oktober 2006
hat das Verfassungsgericht des Landes
Brandenburg
durch die Verfassungsrichter Weisberg-Schwarz, Prof. Dawin, Prof. Dr.
Dombert, Havemann, Dr. Jegutidse, Dr. Schöneburg und Prof. Dr. Schröder
am 22. November 2007
b e s c h l o s s e n :
1.Das Urteil des Amtsgerichts Cottbus
vom 04. Mai 2006 und der Beschluß des Amtsgerichts Cottbus vom 27. Oktober
2006 verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Anspruch auf Gleichheit vor
Gericht in Gestalt des Willkürverbotes (Art. 52 Abs. 3 Alt. 1 Verfassung
des Landes Brandenburg). Die Entscheidungen werden aufgehoben. Die Sache
wird zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht Cottbus zurückverwiesen.
2.Das Land Brandenburg hat der
Beschwerdeführerin die notwendigen Auslagen zu erstatten.
3.Der Wert des Gegenstandes der
anwaltlichen Tätigkeit wird auf 4000,00 € festgesetzt.
G r ü n d e :
A.
Die Beschwerdeführerin rügt, daß ihr
Beweisantritt im Rahmen eines Zivilprozesses übergangen worden ist.
I.
Die Beschwerdeführerin wurde am 07.
Februar 2005 bei einer Straßenbahnfahrt in C. ohne entwerteten Fahrausweis
angetroffen und daraufhin von der Betreiberin des öffentlichen
Personennahverkehrs in C., der C.-verkehr GmbH, auf Zahlung eines erhöhten
Beförderungsentgelts von 40 € in Anspruch genommen. In dem vor dem
Amtsgericht geführten Verfahren war zwischen den Parteien im wesentlichen
streitig, ob die Beschwerdeführerin Gelegenheit hatte, ihren Fahrschein bei
Fahrtantritt zu entwerten oder ob die Fahrkartenentwerter zu diesem
Zeitpunkt bereits „gesperrt“ bzw. nicht funktionsfähig waren.
Der Tatsachenvortrag der
Beschwerdeführerin bestand zunächst in der Behauptung, der
Fahrscheinentwerter sei unmittelbar nachdem die Beschwerdeführerin
eingestiegen war von den Kontrolleurinnen gesperrt worden, um zu verhindern,
daß sie ihren Fahrschein entwerten konnte. Dieser Vortrag wurde dann
dahingehend berichtigt, daß unabhängig von der Frage, ob die
Kontrolleurinnen eine Sperrung des Entwerters vorgenommen haben, dieser in
jedem Fall bei Fahrtantritt nicht funktionsfähig war und es der
Beschwerdeführerin daher nicht möglich war, den Fahrschein zu entwerten. Für
ihre Tatsachenbehauptungen bot sie jeweils Zeugenbeweis an und benannte als
Zeugin Frau K., die zusammen mit der Beschwerdeführerin in die Straßenbahn
eingestiegen sei.
Das Amtsgericht forderte die
Beschwerdeführerin auf, den Geschehensablauf näher darzulegen. Aufgrund
eines richterlichen Hinweises vom 15. Februar 2006 wurde von Seiten der
Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 13. März 2006 ergänzend wie folgt
vorgetragen:
„In der Straßenbahn befanden sich 6
Fahrscheinentwerter. 2 dieser Entwerter befanden sich im mittleren Teil der
Straßenbahn, 2 weitere jeweils im hinteren und vorderen Bereich. Die
Beklagte versuchte erfolglos, ihren Fahrschein mit Hilfe der im mittleren
Bereich befindlichen Entwerter abzustempeln. Da diese außer Betrieb waren,
ist die Beklagte in den hinteren Bereich der Straßenbahn gegangen und
versuchte, mit Hilfe der beiden sich dort befindlichen Entwerter den
Fahrschein zu stempeln. Auch dieser Versuch scheiterte, da auch diese
Automaten außer Betrieb waren. Sodann ist die Beklagte in den vorderen
Bereich der Straßenbahn gegangen, um dort ihren Fahrschein zu entwerten. Als
sich die Beklagte in der Mitte der Straßenbahn befand, wurde sie von einer
der beiden Kontrolleurinnen aufgehalten und konnte daher nicht mehr
versuchen, ihren Fahrschein unter Zuhilfenahme der vorderen Entwerter
abzustempeln.“
Als Beweis wurde wiederum die Zeugin K.
benannt.
In der mündlichen Verhandlung vom 14. März
2006 lehnte das Amtsgericht die Vernehmung der präsenten Zeugin K. mit der
Begründung ab, das bisherige Vorbringen sei widersprüchlich geblieben. Es
gebe keine Veranlassung, eine Zeugin „ins Blaue hinein“ zu vernehmen. Nach
einem durch Beschluß als unbegründet zurückgewiesenen Ablehnungsgesuch
erging dann auf erneute mündliche Verhandlung vom 04. Mai 2006
klagestattgebendes Endurteil. Die Entscheidungsgründe stützen sich im
wesentlichen darauf, daß es an einem nachvollziehbaren, substantiierten
Tatsachenvortrag fehle, der es erforderlich gemacht hätte, dem Beweisangebot
der Beschwerdeführerin nachzugehen. Insbesondere sei nicht deutlich
geworden, aus welchem Grund und von welchem Platz in der Straßenbahn aus die
benannte Zeugin aus eigener Anschauung Aussagen zum behaupteten Sachverhalt
hätte treffen können.
Die Beschwerdeführerin verfolgte ihr
Anliegen im Rahmen des Verfahrens nach § 321 a Zivilprozeßordnung mit der
Begründung weiter, der übergangene Beweisantrag stelle eine Verletzung des
rechtlichen Gehörs der Beschwerdeführerin dar. Die Rüge der
Beschwerdeführerin wurde durch Beschluß vom 27. Oktober 2006 als unbegründet
zurückgewiesen.
II.
Mit der am 03. Dezember 2006 bei Gericht
eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin die
Verletzung des Anspruchs auf Gleichheit vor Gericht in seiner Ausprägung als
Willkürverbot (Art. 52 Abs. 3 Alt. 1 Verfassung des Landes Brandenburg - LV
-), sowie des Anspruchs auf ein faires Verfahren (Art. 52 Abs. 4 LV). Sie
macht geltend, die Entscheidung des Gerichts, die präsente Zeugin nicht zu
hören, sei in keiner Weise mit der Prozeßordnung vereinbar gewesen, sondern
schlechthin unhaltbar. Eine Partei genüge ihrer Darlegungslast dadurch, daß
sie Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet
sind, das geltend gemachte Recht als in ihrer Person entstanden erscheinen
zu lassen. Genüge das Parteivorbringen diesen Anforderungen an die
Substantiierung, so könne der Vortrag weiterer Einzeltatsachen nicht
verlangt werden. Es sei Sache des Tatrichters, bei der Beweisaufnahme die
Zeugin nach den Einzelheiten zu befragen und zu beurteilen, ob sie
glaubwürdig sei oder nicht.
III.
Das Amtsgericht und die C.-verkehr GmbH
haben Gelegenheit zur Stellungnahme bekommen. Die C.-verkehr GmbH ist der
Meinung, der Beschwerdeführerin sei mehrfach durch das Amtsgericht die
Gelegenheit gegeben worden, den Sachvortrag schlüssig zu begründen, was sie
aber nicht genutzt habe.
Die Verfahrensakte ist beigezogen worden.
B.
Die Verfassungsbeschwerde hat Erfolg.
I.
Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig.
Die Beschwerdebefugnis ergibt sich daraus,
daß eine Verletzung von Art. 52 Abs. 3 Alt. 1 LV nicht ausgeschlossen ist.
Der fachgerichtliche Rechtsweg ist erschöpft (§ 45 Abs. 2 S. 1
Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg - VerfGGBbg -). Die Berufungssumme
gem. § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO wird nicht erreicht. Die Anhörungsrüge nach §
321 a ZPO hat die Beschwerdeführerin erhoben.
Der Zulässigkeit steht nicht entgegen, daß
die Verletzung eines Landesgrundrechts im Rahmen eines bundesrechtlich -
hier durch die ZPO - geordneten Verfahrens gerügt wird. Die insoweit
erforderlichen Voraussetzungen (vgl. Verfassungsgericht des Landes
Brandenburg, st. Rspr. seit Beschluß vom 16. April 1998 - VfGBbg 1/98 -,
LVerfGE 8, 82, 84 f. unter Bezugnahme auf BVerfGE 96, 345, 371 ff.) sind
gegeben. Das in Art. 52 Abs. 3 Alt. 1 LV verankerte Willkürverbot entspricht
dem aus Art. 3 Abs. 1 GG abzuleitenden Verbot willkürlicher gerichtlicher
Entscheidungen. Das auf Landesverfassungsebene ausdrücklich normierte Gebot
des fairen Verfahrens (Art. 52 Abs. 4 LV) ergibt sich auf
Bundesverfassungsebene als Ableitung aus dem Rechtsstaatsprinzip.
II.
Die angefochtenen Entscheidungen verletzen
die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 52 Abs. 3 Alt. 1 LV.
1. Nach der landesverfassungsgerichtlichen
Rechtsprechung ist eine Entscheidung dann willkürlich im Sinne des Art. 52
Abs. 3 Alt. 1 LV, wenn sie unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt vertretbar
ist und sich deshalb der Schluß aufdrängt, sie beruhe auf sachfremden
Erwägungen (ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichts des Landes
Brandenburg, vgl. etwa Beschluß vom 16. April 1998 - VfGBbg 1/98 -; Beschluß
vom 20. Januar 1997 - VfGBbg 45/96 -, NJ 1997, 307 m.w.N.; für die
entsprechende Rechtslage nach Art. 3 Abs. 1 GG: BVerfGE 80, 48, 51). Dies
ist hier der Fall. Das Amtsgericht hätte den von der Beschwerdeführerin
angebotenen Zeugenbeweis nicht mit der Begründung zurückweisen dürfen, der
Vortrag sei unsubstantiiert geblieben.
a. Der Zurückweisung eines Beweisantrags
ist von Verfassungs wegen Grenzen gesetzt. Aus Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV
(hier in Verbindung mit den Grundsätzen der ZPO) ergibt sich die
Verpflichtung, erhebliche Beweisanträge zu berücksichtigen. Im
Zivilverfahren darf ein Richter von der Erhebung zulässiger und rechtzeitig
angetretener Beweise nur dann absehen, wenn das Beweismittel völlig
ungeeignet oder die Richtigkeit der unter Beweis gestellten Tatsache bereits
erwiesen (oder zugunsten des Beweisbelasteten zu unterstellen) ist, wobei
bei der Zurückweisung eines Beweismittels als ungeeignet größte
Zurückhaltung geboten ist (vgl. BVerfG, NJW 1993, 254, 255). Grundsätzlich
stellt es eine unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung dar, die
Beweiserhebung mit der Begründung abzulehnen, das Gegenteil der behaupteten
Tatsachen sei bereits erwiesen. Der völlige Unwert eines Beweismittels muß
feststehen, um es ablehnen zu dürfen (vgl. BVerfG, a. a. O.).
Eine Voraussetzung für die
Berücksichtigung eines Beweisantrags ist allerdings, daß die zu beweisenden
Tatsachen sowie das Beweismittel ausreichend bezeichnet sind. Dabei dürfen
die Anforderungen an die Substantiierung wiederum nicht überspitzt werden
(vgl. Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin, Beschluß vom 07. November
2006 - VerfGH 33/06, 33 A/06 -). Die Ablehnung eines Beweisantrags unter dem
Gesichtspunkt mangelnder Substantiierung kommt in der Regel nur dann in
Betracht, „wenn die unter Beweis gestellte Tatsache so ungenau bezeichnet
ist, daß ihre Erheblichkeit nicht beurteilt werden kann, oder wenn sie zwar
in das Gewand einer bestimmt aufgestellten Behauptung gekleidet ist, diese
aber auf das Geratewohl gemacht, gleichsam »ins Blaue« aufgestellt, also aus
der Luft gegriffen ist und sich deshalb als Rechtsmißbrauch darstellt“ (BVerfG,
Beschluß vom 09. Februar 1994 - 1 BvR 937/93 -). Sofern das Gericht die
Entscheidungserheblichkeit der unter Beweis gestellten Tatsachen wegen
ungenauer Bezeichnung verneint, hat es entsprechenden Hinweispflichten
nachzukommen. Gleiches gilt für den Fall, daß das Gericht ein Beweismittel
als ungeeignet ansieht.
b. Entgegen der Begründung des
Amtsgerichts war das Beweisangebot der Beschwerdeführerin ausreichend
substantiiert. Bei der Beurteilung des Beweisangebots ist der Vortrag in
seiner Gesamtheit zu berücksichtigen. Mit Schriftsatz vom 13. März 2006 hat
die Beschwerdeführerin den Vortrag noch einmal konkretisiert und im
Einzelnen geschildert, an welchen Fahrscheinentwertern sie wann erfolglos
versucht hat, den Fahrschein abzustempeln. Da die Angaben der
Beschwerdeführerin konkret genug waren, um eine sachliche Stellungnahme und
Überprüfung zu ermöglichen, kann die Annahme des Amtsgerichts, die Angaben
der Beschwerdeführerin seien widersprüchlich geblieben und nicht
substantiiert, nicht nachvollzogen werden.
Auch hinsichtlich des von der
Beschwerdeführerin angebotenen Beweismittels ist der Beweisantrag nicht
unsubstantiiert. Die Forderungen des Amtsgerichts, die Beschwerdeführerin
hätte darlegen müssen, an welchem Platz sich die Zeugin genau befand und wie
sie von dort aus konkrete Feststellungen hätte treffen können, sind nicht
verständlich und finden im Prozeßrecht keine Stütze. Die Beschwerdeführerin
hatte für ihre Behauptung, daß die Fahrscheinentwerter bei Fahrtantritt
nicht funktionsfähig waren, die Zeugin K. namentlich benannt, die zusammen
mit der Beschwerdeführerin die Straßenbahn betreten habe. Es bestehen
keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß eine Zeugin, die - wie die
Beschwerdeführerin vorgetragen hat - zusammen mit der Beschwerdeführerin in
die Straßenbahn eingestiegen ist, von bestimmten Plätzen in der Straßenbahn
aus den geschilderten Vorfall nicht hätte sehen können. Daß die Straßenbahn
überfüllt war oder ähnliches, hat keine der Parteien im Ausgangsverfahren
vorgetragen.
2. Die angegriffenen Entscheidungen
beruhen auf den Grundrechtsverstößen. Es kann nicht ausgeschlossen werden,
daß das Amtsgericht bei einem vor Art. 52 Abs. 3 Alt. 1 LV standhaltenden
Verfahren zu einem für die Beschwerdeführerin günstigeren Urteil gelangt
wäre. Die Entscheidungen sind daher aufzuheben (§ 50 Abs. 3 VerfGGBbg), und
das Verfahren ist an das Amtsgericht zurückzuverweisen.
C.
Die Entscheidung über die Erstattung der
notwendigen Auslagen der Beschwerdeführerin beruht auf § 32 Abs. 7 Satz 1
VerfGGBbg.
D.
Die Gegenstandswertfestsetzung beruht auf
§§ 33 Abs. 1, 37 Abs. 2 Satz 2 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz. Danach ist der
Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit im Verfassungsbeschwerdeverfahren
unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der
Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit
sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach
billigem Ermessen zu bestimmen, jedoch nicht unter 4.000,00 €.
Entsprechend der ständigen Praxis des
Gerichts in Verfahren über Individualverfassungsbeschwerden gegen
Gerichtsentscheidungen (s. etwa: Verfassungsgericht des Landes Brandenburg,
Beschlüsse vom 22. Januar 2004 - VfGBbg 226/03 - sowie vom 17. Mai 2001 -
VfGBbg 37/00 - und 17. Januar 2002 - VfGBbg 49/01 - [letztere zum vormaligen
Mindestwert i.H.v. 8.000,00 DM]) war hier der Gegenstandswert auf 4.000,00 €
festzusetzen. Weder Umfang und Schwierigkeit der zivilrechtlichen
Streitigkeit noch die Bedeutung für den Beschwerdeführer und die - lediglich
eingeschränkte - allgemeine Bedeutung der Sache rechtfertigen einen erhöhten
Gegenstandswert für das Verfassungsbeschwerdeverfahren.
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